Letzten Sommer haben wir mit einem Familienprojekt bereits das Leben in einer Ausnahmesituation geprobt. Viele Besucher der Ausstellung haben damals gemeint, wir seien unglaublich wagemutig und sie selber könnten dies nie. Wenn ich sehe, womit derzeit alle von uns konfrontiert sind, denke ich mir im stillen, sag niemals nie. Die Erfahrungen, die wir in diesem ungewöhnlichen Sommerprojekt sammeln konnten, waren für unsere Familie aus heutiger Sicht die Aufwärmrunde für das Leben mit Corona. Da ich grad selber gerne in der Erinnerung an diese Zeit schwelge, dachte ich, teile ich sie doch hier auch mit euch. Als erstes findet ihr das Konzept/die Idee mit welchem/welcher wir uns für die Teilnahme beworben haben und den darunter folgenden Bericht hatte ich im Dezember als Jahresbericht für den Verteiler unseres Jahresrückblicks verfasst. Viel Spass beim lesen!
Konzept/Idee
Vergangenheit
Seit der Kettenreaktion 2016 sind wir regelmässige Besucher des Areals und der Kantine Attisholz (vormals Kettenkaffee). Wir fühlen uns daheim, die Kantine ist für uns unser zweites Wohnzimmer. Bereits bevor klar wurde, dass es auf dem Areal einmal Wohnraum geben wird, war uns klar, dass wir in Zukunft einmal dort wohnen.
Gegenwart/Heute
Mit der Erschliessung des Attisholz Süd/Uferpark ist das gesamte Areal zusätzlich belebt worden. Das Interesse der Öffentlichkeit wird grösser. Es wird hip dort zu sein und die Bevölkerung erhebt Ansprüche. Wir spüren ganz deutlich, dass für uns mit der Kettenreaktion 2019 der Zeitpunkt gekommen ist, unserem Gefühl nachzugeben, Pionierarbeit zu leisten und unseren Wohnraum zu beziehen. Aus dem Ort der Freizeit, Kunst und Kultur beherbergt, soll mehr werden………. Wir wollen damit auch ein Statement setzen, dass wir uns als Teil der bisherigen Geschichte sehen und den Anspruch stellen, die Möglichkeit zu erhalten Wohnraum auf dem Areal zu bekommen.
Zukunft
Gemeinsam mit unseren drei Kindern werden wir in den Projektwochen ausloten, was es braucht, damit wir uns alle wohl und zu Hause fühlen. Unsere Bedürfnisse stehen im Vordergrund. Wie richten wir unser Leben auf dem Gelände ein? Was fehlt uns? Können wir es beschaffen, erschaffen oder geht es auch ohne? Welche Kontakte können wir nutzen oder neu knüpfen? Ziel ist es den (Wohn-)Raum so einzurichten, dass wir über einen längeren Zeitraum darin leben können. Unsere Mittel dafür sind beschränkt, wir werden vorhandene Materialien nutzen und wenn nötig Spenden suchen (nachhaltig).
Dokumentation
- Gästebuch (T.) = Die Besucher unseres Wohnraums können sich dort eintragen
- Fotos (S.) = Arbeit mit Fotos dokumentieren
- Tagebuch (Mirjam) = Fortschritte schriftlich festhalten
- Materialliste (D.) = Sämtliches verbautes Material dokumentieren
- Visionen (D.) = Zieht nur ein, wenn ein Familienbett mit Rutschbahn realisiert wird
Soundtrack zum Konzept: «Wir sind gekommen, um zu bleiben», Wir sind Helden, Judith Holofernes
Familie Fischer
Alles begann im Jahr 2016.
Anlässlich der Kunstausstellung Kettenreaktion’16 entdeckten wir das ehemalige Fabrikgelände der Cellulose Attisholz für uns. Wir verbrachten die folgenden Jahre viel Zeit dort und das Kettenkaffee wurde zu unserem 2. Wohnzimmer. Als Geocacher hatten Lostplaces schon immer eine Anziehungskraft auf uns. „Hier müssen wir einmal wohnen,“ sagten Dominic und ich bei diesen Besuchen oft zueinander. Mit der Erschließung des Uferparks im Frühling 2019 hörten wir diese Worte immer wie häufiger auch von anderen Besucher*innen der Brache. Verständlich, da die Besitzerfirma Halter auch die Absicht hat künftig dort Wohnraum zu schaffen. Allerdings nicht unbedingt in unserem Preissegment und mit dem Charme den Dominic und ich an dem Fabrikgelände so schätzen. Dies war einer der Auslöser für die Blitzentscheidung, die wir trafen, als ich Ende Mai bei einem Apéro in der Kantine den Flyer mit der Ankündigung für die Kettenreaktion 2019 sah. Dominic, Kinder, was meint ihr, das wäre doch die Gelegenheit da mitzumachen und hier zu wohnen!! Wie der Zufall es wollte, kam gerade der Präsident des organisierenden Vereins daher. Ich steuerte auf ihn zu und erzählte ihm von unseren Absichten. Obwohl die Ausschreibung bereits abgeschlossen war und die Künstler feststanden, fand er unsere Idee so „crazy“, dass er sie dem Verein nachträglich unterbreiten wollte. Wir schrieben also unser Konzept „Familie Fischer zieht ins Attisholz Nord“ und reichten es ein. Dann begann eine lange Geduld zerrende, ungewisse Wartezeit. Während wir das GO und die Unterstützung des Vereins (viele kannten die „Familie Fischer“ bereits aus den Besuchen im Vereinskaffee) sofort hatten, musste die Eigentümerin des Geländes eine eigene Entscheidung, unter Berücksichtigung aller sicherheits- und versicherungstechnischen Vorschriften, fällen. Dabei schwangen auch gewisse Ängste mit, dass diese Familie das Gelände nach Ende der Ausstellung besetzen könnte.
Mitte Juli kam dann endlich die definitive Bestätigung, dass wir dabei waren. Gerade rechtzeitig, denn Dominic hatte nur noch eine Woche Ferien und auf seine handwerklichen Fähigkeiten und Muskelkraft waren wir angewiesen. Die nächsten Wochen waren gefüllt mit Möbelsuche, bauen, einrichten, immer wieder Treppensteigen und Kontakte mit Künstler*innen knüpfen. Bedingt durch unser Wohnprojekt waren wir auf dem Gelände sehr präsent und jeder kannte uns und wir kannten jeden. Die Bedingungen in der Brache waren nicht einfach. Kein fließendes Wasser, kein oder nur wenig Strom, Sanitäranlagen in großer Entfernung, Staub, Staub, Staub und Treppen, Treppen, Treppen. Immer wieder neue Herausforderungen und Probleme die es zu lösen gab. Aber auch ein Abenteuerspielplatz direkt vor unserer Nase, Platz für Kunst, Dreck, Entdeckungen, spannende Menschen, viel Freiraum, keine Grenzen und die kühle, reinigende Aare direkt vor der Haustür.
Unser sonstiges Leben trat in den Hintergrund und die einmalige Gelegenheit sich in einem neuen Raum neu zu erfinden beflügelte jede*r einzelne von uns. Gleichzeitig waren wir darauf angewiesen als Familie zusammen zu halten und uns gegenseitig zu unterstützen. Dies hat unseren Erfahrungsschatz unglaublich wachsen lassen und unser Leben nachhaltig bereichert.
Mit der Eröffnung der Ausstellung im August begann unsere „Wohnphase“ als Real-Performance. Waren die Wochen davor durch viel harte Arbeit und künstlerischem Schaffen geprägt gewesen, standen wir nun im Rampenlicht der Öffentlichkeit und hatten direkten Kontakt zu den Besucher*innen. Obwohl wir dies selbst gewählt und gesteuert hatten, mussten wir dennoch individuell und als Familie herausfinden, wie wir diese Situation meistern wollen. Sehr genossen haben wir das Privileg ständig mittendrin zu sein und bedingt durch die Lage unserer Wohnung hatten wir einen Überblick über alles. Während wir als „Familie Fischer“ von Anfang an einen Begriff waren, wurden wir als Familie Tiger neu erschaffen, als Louane, ein Streetartkünstler, sich durch uns inspirieren ließ und uns als Familie Tiger malte. Sein Bild vereint mit einem liebevollen und detailgetreuen Blick all das was uns und unsere Wohnung ausmachte. Ein unglaubliches Werk, das uns rührte und reich beschenkte.
Danke an alle die uns in irgendeiner Form unterstützt haben. Sei es mit Essen, Möbeln, Aufmunterung, Verständnis, Interesse, Besuchen, Feiern, alles hat uns getragen und beflügelt. An dieser Stelle danke von ganzem Herzen. Die Erkenntnis dieses Sommers ist, dass jeder Moment unendlich reicher an Glück und Zufriedenheit wird, wenn man ihn mit anderen Menschen teilen kann. Die Erinnerung wird uns so durch das restliche Leben begleiten und durch den Austausch immer wieder neu aufgefrischt werden.
Danke an alle die uns in irgendeiner Form unterstützt haben. Sei es mit Essen, Möbeln, Aufmunterung, Verständnis, Interesse, Besuchen, Feiern, alles hat uns getragen und beflügelt. An dieser Stelle danke von ganzem Herzen. Die Erkenntnis dieses Sommers ist, dass jeder Moment unendlich reicher an Glück und Zufriedenheit wird, wenn man ihn mit anderen Menschen teilen kann. Die Erinnerung wird uns so durch das restliche Leben begleiten und durch den Austausch immer wieder neu aufgefrischt werden.
So cool, euer sommer letztes Jahr. Und euer ausspruch, dass dieser sommer die perfekto vorbereitung war, ich glaub dir das sofort. Und versteh es voll und ganz.
Als das corona hier begann ernst zu werden, haben wir uns hier genau dasselbe gesagt. Auch wir hatten letzten sommer ein besonderes projekt, und es war ebenso die perfekte vorbereitung….
Vielleicht hast du in meinem insta, mal bitzli runter gescrollt, ursprünglich war der Account für unser projekt:”vom mehr zum meer” als wir unseren weg-in-die-zukunft gewandert sind. Von unserer haustür bis ans ligurische meer, über alle berge….
Ich habe es gesehen ja. Unglaubliches habt ihr erlebt und gemeistert! Schon wieder eine Gemeinsamkeit 😉